Todesmarsch
von Leipzig nach Fojtovice
„Todesmarsch […] bezeichnet den Prozess durch den ein Regime, üblicherweise eine Regierung oder eine Besatzungsmacht, beginnt, Angehörige einer bestimmten Nationalität, Gruppe oder Subgruppe – auf Basis ihrer Ethnizität, Religion, Sprache oder Kultur – mit der Absicht ihrer Vernichtung zu versammeln. Der Begriff Todesmarsch bezeichnet die physische Aktion, durch die die versammelten Personen dann aufgestellt und in den sicheren, massenhaften Tod geschickt werden.“
Encyclopedia of Genocide and Crimes Against Humanity. Dinah Shelton, Macmillan Reference, 2005
Auch wenn die genauen Routen der Todesmärsche weitestgehend unbekannt sind, kann gesagt und festgestellt werden, dass die Todesmärsche durch ganz Deutschland – durch Städte und Dörfer führten. Geschätzte 758.000 völlig entkräftete Menschen wurden unmittelbar an deutschen Wohnstuben vorbeigetrieben. Einer dieser Märsche, auf dem Häftlinge misshandelt, gequält und getötet wurden, begann in Leipzig und endete nach 500 Km in Fojtovice.
Mitte April 1945 wurden insgesamt über 15.000 Häftlingen aus den in Leipzig aufgelösten KZ-Außenlagern des Konzentrationslagers Buchenwald auf Todesmärsche in unterschiedliche Richtungen getrieben. Nur wenige von ihnen sollten den Marsch überleben. So oder vergleichbar ist es in der einschlägigen Geschichtsliteratur zu lesen. Nicht mehr und nicht weniger.
Einer dieser Todesmärsche mit einer Gruppe von 2.400 Häftlinge, verließ am 13. April 1945, von der SS bewacht, das Lager in Leipzig-Heiterblick. Die 250 Überlebenden dieses Marsches wurden am 09. Mai 1945 von Soldaten der russischen Armee in Fojtovice (Tschechien) befreit.
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Ab dem 12. April 2017 bin ich diesen Weg von Leipzig nach Fojtovice gegangen. Nicht, um ihn nachzustellen, oder den Versuch zu unternehmen, eine Dokumentation des Todesmarsches zu erstellen oder die Ereignisse mit all ihren Facetten zu beleuchten; und schon gar nicht, um das Leid oder die Verzweiflung der Menschen, die als KZ-Häftlinge auf diesen Marsch getrieben wurden, nachempfinden zu wollen. Ich ging diesen Weg, um mich als Fotograf dieser Geschichte künstlerisch anzunähern und um hier, in den Orten und Räumen, in denen sich diese Geschichte manifestierte, jene Aura zu erleben, die von dieser Geschichte erzählt.
Und ich habe aufmerksam auf das „geschaut“ und dem „zugehört“, was mir auf diesem Weg von dieser Geschichte „gezeigt und erzählt wurde“ und versucht, es intuitiv zu erfassen und zu imaginieren. Die sich so entwickelten inneren Bilder habe ich dann jeweils nur noch auf die Funktionen meines Fotoapparates übertragen. Die Bilder zeigen mein Erleben während meines Marsches und meine persönliche Sicht auf diese Geschichte.
Ich verstehe meine Bilder als Einladung an den Betrachter, jenseits der Grenzen des mehr als nur eingeschränkten Wissens einer ge-/beschriebener Geschichte, neue und eigenständige Erfahrungen zu machen. Sie sind ein Angebot für eine erweiterte und persönliche Sicht und/oder Vorstellung von der Geschichte.
Während meines Weges habe ich mich an die, im Bericht von Andre Raimbault und seiner Freunde Jacques Duzan, Jean Schiano di Cola, Pierre Drapron und Charles Sasserand niedergeschriebene Tages-, nicht aber an die Zeitstruktur des Marsches gehalten.
Ich habe alle Aufnahmen während der Zeit vom 12. April bis 09. Mai 2017 auf meinem Weg von Leipzig nach Fojtovice mit einer analogen Kleinbildkamera als Doppelbelichtungen auf Schwarzweiß-Negativfilme gemacht.